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Beitrag vom 29.11.2010
Bitte - wer ist denn hier alt. Von den Unverschämtheiten des Alters
Isabell Serauky
Auch wenn wir uns eher am Anfang, als in der Mitte unseres Lebens fühlen - auch an uns nagt das Alter beharrlich. Mit all seinen Tücken. Erst zaghaft und dann so unverschämt, dass wir es nicht mehr..
... ignorieren können. Es stellt sich nur die Frage: Wie gehen wir damit um?
Letzten Mittwoch kam ein neuer Mandant zu mir. Ich gab ihm tatkräftig die Hand zum Gruß und geleitete ihn in mein Besprechungszimmer. Sofort erntete ich einen irritierten Blick und während ich vor ihm her stöckelte die Frage: "Sind Sie jetzt die Anwältin?" Ich musste ihn mit der nackten Wahrheit konfrontieren, dass ich leider nicht das Nummerngirl sei, das ihn zu dem honorigen, dickbäuchigen, schnauzbärtigen Anwalt um die Fünfzig führt. Nein, ich sei es, bei der er den Rechtsrat gebucht habe. Der Typ hatte Nerven aus Drahtseilen und legte noch eins drauf: "Sie sind so jung. Haben Sie denn überhaupt Ahnung?" Ich setzte mein Eisköniginnenlächeln auf und hob an, dass ich a) Dank der Segnung der Kosmetikindustrie jünger aussehe als ich bin, b) bereits die Vierziger gerissen habe und c) er natürlich ein älteres, männliches Anwaltsmodell jederzeit wählen könne. Wir einigten uns schnell, dass das Lob an die Kosmetikindustrie generell zu mager ausfalle und wechselten zügig zum eigentlichen Thema unserer Zusammenkunft.
Wenn Sie jetzt glauben, dass diese Begegnung für mich auch nur einen schmeichelhaften Moment hatte, dann irren Sie aber gewaltig! Kämpfe ich doch gerade an allen Fronten gegen das nagende Alter. Schlafstörungen sind seit Monaten mein Thema und seit kurzem kommt nun noch das Kapitel Bluthochdruck dazu. Dass man mir äußerlich noch nicht den Zahn der Zeit ansieht, kann mich nicht im Mindesten milde stimmen. Die Schlafstörungen sind die ersten Anzeichen der senilen Bettflucht, so die derzeit dominierende Meinung meines Umfelds. Und der Bluthochdruck überrascht dann doch, da auch hier nur das fortgeschrittene Alter als Ursache angeführt werden kann. Gesunde Ernährung, etwas körperliche Ertüchtigung und ein kaum beachtlicher Alkoholmissbrauch wird mir zumeist wohlwollend unterstellt. An einer falschen Lebensführung kann es daher nicht liegen.
Also, es ist soweit. Die Blütezeit ist überschritten und die Welkperiode beginnt. Dabei fühle ich mich eigentlich verdammt jung. Jedenfalls innerlich. Ich glaube mit einer unerschütterlichen Naivität daran, dass für mich noch unendlich viel Zeit deponiert ist. Nahezu alles scheint mir noch planbar und machbar. Mein gefühltes Lebensalter liegt so bei 25 bis 28 Jahren. Interessanterweise bleibt es seit Jahren konstant. Aber mag meine äußere Schale noch durchgewunken werden und mein inneres Zerrbild funktionieren, so zwingen doch die gesundheitlichen Macken der letzten Wochen zur Konfrontation mit der Realität. Und drei Nächte mit maximal vier Stunden Schlaf in Folge lassen erahnen, an welchen Stellen die äußere Schale bald anfängt zu bröckeln. Derzeit bügelt der dann doch irgendwie erhaschte Schlaf die Dellen um die Augen noch platt. Aber die Aussicht frustriert.
Es schwant mir langsam, dass an dem Ausspruch Wahres dran sein muss: "Das Alter ist nichts für Feiglinge." Die körperlichen Befindlichkeiten drängen mit einer Unverschämtheit ins Bewusstsein. Und sie nehmen einen Großteil meiner Gespräche ein. Aber zum Glück bin ich nicht allein. Ringsherum nehmen die Blessuren zu. Langsam, aber unverkennbar. Es zwickt und zwackt in meiner Generation. Sportarten werden nach Verträglichkeit für Gelenke und Knochen ausgewählt, Urlaubsreisen nach der geringsten körperlichen Belastung geplant und die Ernährungsweise wird nicht mehr nach Kalorienwerten ausgeklügelt, vielmehr liebäugeln wir mit idealen Cholesterinwerten.
Mir als Pragmatikerin ist völlig klar, dass gegenüber dem Alter jegliche Verweigerungshaltung verlorene Liebesmüh ist. Es wird uns, mit all seinen Wehwehchen, bald fest im Griff haben. Das einzig beruhigende an diesem Szenario ist, dass sich ihm jeder stellen muss. Die Frage ist nur wie?
Wir wollen alle alt werden, aber keiner will alt sein. Für den äußeren Kitt dienen uns unzählige Batterien von Tiegeln, Döschen und Ampullen. Jeder neue Wirkstoff wird herbeigesehnt und es wird probiert, bis die Epidermis glüht. Ausgestattet mit allen erdenklichen Nahrungsergänzungsmitteln wird jeder Tag ideal dosiert gewuppt. Und wenn dann trotzt ausgewogener Ernährung, einer perfekten Work-Life-Balance und dem turbulenten Leben abgezwackter Bewegungseinheiten gesundheitliche Defizite auftauchen, dann entdeckt uns ein neuer Markt – die Pharmaindustrie. Wir können uns lange hin hangeln, ohne wirklich alt zu sein.
Aber, was war eigentlich noch einmal so schlimm am Alter? Meine Großmütter hatten im hohen Alter etwas Starkes, Würdevolles und vor allem strahlten sie eine Zufriedenheit aus, die entwaffnend war. Dennoch gab es sicher auch bei ihnen Momente, in denen die körperlichen Beschwerden mutlos machten und sie mit ihrer Abhängigkeit haderten. Was sie sich jedoch immer bewahrt haben, ist die Neugier aufs Leben.
Wir können uns drehen und wenden wie wir wollen, wenn wir Glück haben, dann werden wir alt. Sehr alt sogar. Jede Zweite von uns wird ihren 85. Geburtstag feiern. Das einzige was wir auf diesen Weg wirklich tun können, ist weniger jammern und mehr an der eigenen Zufriedenheit basteln.
Und wenn ich es mir recht überlege, so ein geringer Schlafbedarf hat ja auch etwas Positives. Was kann ich in all den Stunden, die mir momentan mehr zur Verfügung stehen alles so erledigen – einfach phantastisch!
Die Autorin Isabell Serauky ist in ihrem anderen Leben Rechtsanwältin und hat eine Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg.
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